Innenohr DCS
Ursache
Verantwortlich für die Entstehung einer Dekompressionserkrankung ist die Atmung eines Inertgases unter erhöhtem Druck. Das zugrunde liegende Henry-Gasgesetz sollte man sich noch einmal anschauen. Bei Atmung von Pressluft werden ca. 78 % Stickstoff und 21 % Sauerstoff aufgenommen. Die restlichen 1 % verteilen sich auf die verschiedensten Gase. Da Stickstoff nicht am Stoffwechsel teilnimmt, aber in den Körpergeweben gelöst wird (mit zunehmenden Druck und Dauer eine steigende Menge), muss während des Auftauchens der Stickstoff wieder aus dem Körper entfernt werden. Abhängig von der Menge des gelösten Stickstoffs darf hierbei z.T. nicht direkt wieder aufgetaucht werden, ohne dass Austauchstufen (z.B. auf 3 Meter von 3 Minuten Dauer) eingehalten werden. Grundsätzlich gilt, dass bei fast allen Tauchgängen kleine Stickstoffbläschen im Gewebe und im venösen System entstehen, die asymptomatisch bleiben. Sie werden entweder lokal im Gewebe mit der Zeit abgebaut oder sie bleiben in den Lungenkapillaren stecken und werden dort abatmet. Die Lunge hat eine große Reservekapazität für venöse Emboli, so dass hier nur bei grober Verletzung der Dekompressionsvorschriften oder massiven Anstrom venöser Gasbläschen Symptome entstehen. Übersteigt das Maß der Gewebeblasen oder der venösen Blasen bestimmte Grenzen, die individuell verschieden ausgeprägt sein können, oder werden zu viele Blasen arterialisiert (z.B. durch ein offenes Foramen ovale) kommt es zu Symptomen einer Dekompressionserkrankung.
Die Schädigungen der Körperzellen entstehen auf verschiedene Weise. Zum einen üben Blasen einen mechanischen Druck auf Zellen aus, der schädlich wirkt. Weiterhin wird die Blutversorgung, d.h. der Antransport und Abtransport von Sauerstoff, Nährstoffen und Stoffwechselendprodukten, sowohl durch Druck der lokalen Blasen, aber auch durch Embolisation (also Verstopfung durch Partikel) der zuführenden Gefäße, stark eingeschränkt bzw. aufgehoben. Es entsteht ein Sauerstoffmangel im Gewebe, der abhängig von der Art des Gewebes, nach unterschiedlichert Dauer zu einem Zelltod führt. Das Innenohr gehört zu den Geweben, die einen hohen Sauerstoffbedarf, aber eine Gefäßversorgung mit nur geringer Reservekapazität haben. Aus diesem Grund ist das Innenohr besonders empfindlich für Symptome einer Dekompressionserkrankung.
Symptome
Die Dekompressionserkrankung des Innenohres zeigt die gleichen Symptome wie das Barotrauma des Innenohrs. Fakultativ treten auf:
- Drehschwindel (am häufigsten!)
- Hörminderung
- Tinnitus
Es können aber selbstverständlich sämtliche anderen Symptome einer Dekompressionserkrankung auftreten. Häufige und bekannte Symptome sind Hautrötung und -juckreiz (sogenannte Taucherflöhe), Gelenkschmerzen (bends), Muskelschmerzen, Sensibilitätsstörungen, Muskelschwäche, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Lähmungen, Bewußtlosigkeit und viele Symptome mehr.
Sehr typisch für die Innenohr DCS ist jedoch der massive Drehschwindel, der häufig nach einem symptomfreien Intervall von 5-120 min nach dem Tauchgang auftrtitt. Das bedeudet, dass der Taucher noch in Ruhe sein Tauchgepäck einräumt und keinerlei Probleme verspüren kann und plötzlich tritt ein massiver Drehschwindel auf, der das Gehen und Sitzen unmöglich machen und mit Übelkeit und Erbrechen einhergehen kann. Der Taucher bemerkt oft nur den Schwindel und bemerkt keine Beschwerden in den Ohren, auch wenn die Ursache im Ohr liegt.
Therapie
Jede Dekompressionserkrankung mit und ohne Symptome des Innenohrs muss so schnell wie möglich in die Druckkammer! Bereits vier Stunden nach dem Tauchunfall reduziert sich die Chance komplett geheilt zu werden um 50%. Welche Latenz speziell für die Dekompressionserkrankung des Innenohr gilt, ist noch nicht ausreichend bekannt. Prinzipiell so schnell wie möglich, aber ich würde mich selbst auch nach vier Tagen noch in die Druckkammer begeben. Wir selbst haben einen Fall publiziert, bei dem eine Behandlung nach mehr als 24 Stunden noch zu einer kompletten Ausheilung der Innenohrsymptome führte.
Die Lehrmeinung zur Innenohr-DCS im letzten Jahrhundert (bis 2000)
Die Dekompressionserkrankung des Innenohrs (IEDCI= englisch: inner ear decompression illness)) wurde umfassend das erste Mal 1977 von Farmer (amerikanischer Otologe) beschrieben. Damals kam es bei Tauchgängen in Tiefen von mehr als 200 Meter und Verwendung von Helium und anderen Atemgasen häufig zu Symptomen einer IEDCI. Man machte eine lokale Übersättigung zwischen Innenohrstrukturen und Mittelohr verantwortlich für das häufige Auftreten dieser Erkrankung. Bis Ende des letzten Jahrhunderts war man überzeugt, dass eine IEDCI bei Sporttauchern praktisch nicht vorkäme, sondern die Symptome im Bereich des Innenohrs wurden einem Barotrauma des Innenohrs zugeschrieben. In den letzten 10 Jahren wurden in der internationalen Fachliteratur jedoch einige Fallserien publiziert, die Sporttaucher mit einer IEDCI beschrieben. 2001 gab es eine Veröffentlichung aus Israel, in der die Behandlungen von Tauchern der letzten 12 Jahre zeigte, dass bei ca. 1/3 der behandelten Taucher mit Dekompressionserkrankung vom Typ II Innenohrsymptome auftraten. Eine französische Arbeitsgruppe veröffentlichte 2003 sogar ein Studie in der fast ein Drittel aller behandelten Taucher in der Druckkammer eine Innenohr DCS hatten.
Auch unsere Arbeitsgruppe hat mittlerweile mehr als 50 Taucher mit Innenohr-DCS zusammen getragen und in Kürze wird es eine Veröffentlichung aus Frankreich geben mit mehr als 100 Tauchern mit Innenohr DCS. Heutzutage bezweifelt niemand mehr, das die Innenohr DCS bei Sporttauchern auftreten kann.
Diagnose und Therapie
Treten nach dem Tauchgang Symptome einer Innenohrerkrankung auf, und wenn dieser Tauchgang eine Dekompressionserkrankung auch nur möglich macht (d.h. Tauchgänge von mehr als 20 Meter Tiefe oder sehr langer Dauer oder Wiederholungstauchgänge etc.), sollte immer eine Dekompressionserkrankung des Innenohrs in Betracht gezogen werden und eine hyperbare Sauerstofftherapie durchgeführt werden. Ist man sich nicht sicher, ob ein Barotrauma des Innenohrs vorliegt, was sehr selten einmal vorkommen kann, empfehlen wir die Durchführung eines Trommelfellschnitts (Parazentese) oder das beidseitige Einlegen von Belüftungsröhrchen in das Trommelfell. Dieser Schnitt verheilt innerhalb weniger Tage und hinterlässt keine bleibenden Schäden, die Röhrchen können im Anschluss an die Behandlung wieder entfernt werden. Wird ein Taucher mit beidseitigen Trommelfellschnitt in der Druckkammer behandelt, muss er keinen Druckausgleich mehr durchführen, da das Mittelohr durch den Schnitt belüftet wird. Somit ist die Gefahr einer Verschlechterung eines Tauchers mit Innenohrbarotrauma ausgeschlossen. Möglicherweise profitieren sogar Taucher mit Barotrauma des Innenohrs von diesem Vorgehen, da sich in manchen Fällen, nämlich dann wenn eine Luftblase im Innenohr vorliegen würde, sich die Blase durch die Druckkammerbehandlung verkleinern würde. Also: im Zweifel sollte man bei Innenohrsymptomen nach dem Tauchen in einer Druckkammer behandelt werden, aber es muss sichergestellt sein, dass das Ohr belüftet ist.